Die Gründung und die Vereinsaktivitäten in den folgenden Jahren.
Im Januar des Jahres 1870 riefen acht Turnfreunde zu einer Versammlung auf, einen neuen Turnverein ohne eine Standesbindung zu gründen. Die Namen der Gründer sind uns bekannt: Franz Beckers, Nikolaus Defourny, Ferdinand Graf (1.Vorsitzender), Matthias Görres (späterer langjähriger Vorsitzender), Franz Hillmann, Ludwig Immelen, Egidius Neujean und Alphons Peltzer.
Etwa 30 Interessierte Personen schrieben sich noch während der ersten Versammlung in die Mitgliedslisten ein und schon im Februar 1870 begann ein regelmäßiges Turnen, damals auf einem Turnplatz im Freien. Das Aufnahmeverfahren in den Verein wurde für weitere Mitglieder sehr moderat gestaltet: wenn ein Interessent, gleich welchen Standes, in den Verein aufgenommen werden wollte, durfte er zunächst am sportlichen Geschehen teilnehmen, danach wurde sein Name für 14 Tage am Turnplatz ausgehangen, erfolgte kein Einspruch dagegen, war der Probant als Mitglied eingeschrieben. Eine erste Satzung wurde erarbeitet, welche dem „Leipziger Allgemeinen Turnverein Statut“ folgte, da dieses nach damaligem Verständnis an ideale Vorstellungen von Vereinsregeln heranreichte, die u.a. die Ausübung von Leistungssport als Ziel jedes Turners vorsah. Spenden ermöglichten schnell die Anschaffung einer Vereinsfahne. Ein schwer zu bewältigendes Problem war für den neuen Verein die Bereitstellung von Übungsleitern für die Turnabteilungen. Aus den eigenen Reihen diese zu schulen, brauchte viel Zeit, deshalb wurde zunächst auf Turnlehrer von außerhalb zurückgegriffen, die aber bezahlt werden mussten. Die neuen Turnleiter wurden vor ihrem ersten Einsatz von der Aachener Behörde auf ihre „politische und konfessionelle Gesinnung“ hin überprüft.
Jede neue Vereinsgründung musste in damaliger Zeit behördlich genehmigt werden und im Falle des Allgem.-T.V. mit der neuen Form seiner über alle preußischen Stände gehenden Aufnahme der Mitglieder wurde im damaligen hochkonservativen Aachen seitens der Obrigkeit mit starkem Misstrauen gesehen. Turntrainer mussten polizeiliche Führungszeugnisse einholen.
Aus Aufzeichnungen geht hervor, dass die Turner mit hoher Disziplin und Konzentration den Anordnungen der Turnwarte in den Übungsstunden folgten. Es ist für uns heutige Sportler nur schwer nachzuvollziehen, mit welcher Inbrunst und Begeisterung unsere Altvorderen geturnt und gefeiert haben.
Man turnte nach der „Jahn´schen Regel“, aufgestellt durch den Gründer der Deutschen Turnbewegung 1811, den sogenannten „Turnvater“ Friedrich Jahn. Bis 1980 wurde diese im heutigen ATA bei den Geräteturnern beibehalten. » Frisch – Fromm – Fröhlich – Frei « war der allseits bekannte Wahlspruch der Turner, man begrüßte sich untereinander mit „Turn Heil“.
Ein Beispiel für diese Turnbegeisterung mag die Weihe einer neuen Fahne im Jahre 1895 sein, die mit einem besonderen Lied besungen wurde, hier die Originalfassung in damals üblicher und begeisternder Formulierung:
Nun schmuckes Banner stolz und kühn
Laß auch ein Wort Dir weih´n,
Du magst voran im Kampfe zieh´n,
Wir folgen froh und frei!
Und nie! Dies schwören wir Dir heut´
Verlock uns eitler Glanz,
Der Siegerlohn nach wack´rem Streit,
Bleibt deutscher Eichenkranz.
Der Vereinsvorstand bemühte sich von Anfang an intensiv um den Zusammenhalt seiner Turner und band auch deren Familien teilweise mit in den Vereinsbetrieb ein. Die vorherrschenden sozialen Verhältnisse in dieser Zeit waren sicherlich mehr als schwierig. Man kann daran erkennen, dass sich auch in der damals knappen Freizeit der Mitglieder noch vieles um den Verein drehte.
Welcher Einfluss sich in den Jahren hier aufbaute, lässt sich aus den jährlichen Terminkalendern ersehen, z.B. die des Jahres 1906, hier der Originaltext:
- 21. Januar: Stiftungsfest in Piepers Lokal,
- 04. März: Festaktur des Kreiskriegerverbandes im Garten,
- 24. März: Werkmeister Stiftungsfest, Mitfasten, Mitwirkung bei der Karnevalistischen Sitzung des Sammelvereins Habana,
- 24. April: Verabschiedung des 1.Turnwarts Franz Koch,
- 24. Juni: Gauturnfest in Buesbach, 140 Turner,
- 08. Juli: Waldpicknick der Alters Abteilung,
- 10. Juli: Ehrenabend des Allg. Turnvereins, Besuch von Oberturnlehrer Dr. Weede, Berlin,
- 15. Juli: Allgemeine Turnfahrt mit Damen zur Urfttalsperre, Spielbetrieb auf dem Waldspielplatz 2. Roter Haag-Weg,
- 22. Juli: Spielfest auf dem gleichen Platz,
- 02. September: Stiftungsfest des Kölner Turnkreises,
- 08.-09. September: Kreisturntag,
- 10. September: 25-jähriges Bestehen des Herzogenrather TV,
- 23. September: Stiftungsfest des Würselener TV, am gleichen Tag Verbandsfest des Kölner Turn-Vereins,
- 29. September: Abschiedskneipe der zum Militär Einberufenen,
- 06. Oktober: Abschiedskneipe August Klinkenberg,
- 11. November: Herbstturnfahrt des Aachener Turngaues,
Weihnachtsfest in Piepers Lokal, 170 Kinder wurden beschenkt.
Dies waren 20 offizielle Termine des Gesamtvereins, wo zudem stets ein Leistungswettbewerb der Turner in mehreren Klassen durchgeführt wurde, bis zu 200 Turner des Vereins und oft auch deren Familien waren einen ganzen Tag oder auch ein Wochenende unterwegs, ein damals große logistische Arbeit für die Verantwortlichen des Vereins. Übernachtet wurde in der Regel bei den Gastfamilien der einladenden Vereine. Zu diesen vielen Treffen kam noch das regelmäßige Sporttraining und die zusätzlichen Feste und Ausfahrten der einzelnen Abteilungen hinzu.
Die Mitglieder fuhren zu ihren Wettkämpfen nicht nur in die nähere Aachener Umgebung, sondern auch zu den großen Gauturnfesten in Hamburg, Berlin, München, Bielefeld, Düren, Frechen, Köln, Remscheid, Barmen, Mühlheim/ Ruhr, Freiburg, Weiden/Oberpfalz, in die Rheinische Pfalz, nach Saarbrücken oder auch nach Iserlohn, Lüttich, Eupen oder Maastricht.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert hatte sich der Aachener Allg.-T.V. einen hervorragenden Namen in Deutschen Turnerkreisen erworben und erhielt deswegen viele auswärtige Einladungen. Er errang aufgrund meist hervorragender turnerischer Leistungen auf den von ihm besuchten Gaufesten und Wettbewerben viele 1. bis 5. Preise.
In den ersten Jahrzehnten des Vereinsbestehens waren ausschließlich Männer als Turner zugelassen, dies entsprach dem gesellschaftlichen Verständnis in dieser Zeit. Da jedoch zunehmend viele Frauen der Mitglieder sich stärker ins Geschehen einbrachten und sie sich zudem auch bemühten, aktiv im Verein mitzuwirken, wurde am 1.Mai 1902 erstmals eine Damenabteilung gegründet, die Leitung übernahm jedoch der Oberturnwart, natürlich ein Mann. Diese Frauenriege war absolut neu in Turnerkreisen und trotz Empfehlung des Deutschen Turnerbundes weithin noch nicht umgesetzt worden und somit richtungsweisend.
Welche gesellschaftliche Bedeutung der Verein in dieser Zeit in Aachen darstellte, mag man auch daran erkennen, dass zum Jubiläum des 25-jährigen Bestehens in die große Glashalle des Zoologischen Gartens im Westpark über 3.000 gezählte Besucher zum Jubiläumsabend kamen.
Doch nicht immer ging alles glatt im Vereinsleben. Aufgezeichnet ist, dass im Jahre 1910 nach internen Querelen um die „Ausrichtung“ des Vereins Spannungen zwischen dem Vorstand und einer Reihe aktiver Mitglieder entstand.
Da die Differenzen nicht geregelt werden konnten, verließen mehrere Vorstandsmitglieder den Verein und gründeten einen eigenen Turnverein namens „Jahn-Aachen“. Das hatte jedoch für den Allg.-T.V. keine weiteren negativen Folgen, im Gegenteil, es beruhigte das Geschehen. Der „Ableger“ bestand jedoch nur wenige Jahre.
Obwohl ab 1914 nun 4 Jahre lang der 1.Weltkrieg tobte, sind turnerische Aktivitäten im Verein verzeichnet, zunehmend werden auch Ehrendienste wie „Verwundetenhilfe im Lazarett, Geldsammlungen für arme Kinder und Armenspeisungen “ erwähnt.
1920 wurde in schwerer Nachkriegszeit das 50.Jubiläum in bescheidenem Rahmen gefeiert. Ein erstes und uns heute noch vorliegendes Festbuch wurde erstellt, es behandelte lückenlos die Geschichte des Vereins seit 1870, wobei auch viele Fotos und Listen der Vorstandsnamen, der Abteilungs- und Übungsleiter mit enthalten sind.
Das Sportangebot seit der Gründung
Über heute fast 150 Jahre hinweg wurden in verschiedenen Abteilungen spezielle Sportangebote aufgebaut, manchmal auch wieder aufgegeben. So sind außer den Turnern seit 1920 Leichtathleten in seinen Reihen verzeichnet, die im Laufen, Springen, Steinstoßen, Stemmen und Ringen in den weiteren Jahren bis 1939 gute Erfolge in Wettbewerben zu verzeichnen hatten. Die umfassend angebotene Leichtathletik konnte leider ab 1950 nicht mehr neu aufgebaut werden.
Erstaunlich ist noch, dass im Verein zwei rein kulturelle Abteilungen tätig waren, so wurde im Jahre 1930 nicht nur das 60jährige Stiftungsfest, sondern auch das 25jährige Bestehen der Gesangsabteilung gefeiert. Weiter gab es eine vereinsseitig betriebene und sehr breit aufgestellte Bücherei mit eigenem „Bücherwart“, die schon seit dem Jahre 1895 nach Übernahme der Bücherei des in diesem Jahr zum ersten Mal aufgelösten Handwerker-Turnvereins existierte, so steht es in der Festschrift von 1930 zum 60. Jubiläum.
Leistungssport in all seinen Variationen und Wettbewerben bis hoch auf Gauebene wurde durchgeführt, ab 1925 kamen auch Mannschaftssportarten wie Feldhandball u. Faustball hinzu, ab 1956 Prellball und ab 1970 Volleyball mit zeitweise über 100 Abteilungsmitgliedern. All diese Sportarten werden im Verein mangels Interessenten heute nicht mehr angeboten, nur in der Jedermann-Abteilung wird zum Ende der Übungszeit bis heute hin ein kleines Prellballturnier durchgeführt.
Zusammengefasst sei gesagt, der Verein bot seinen Mitgliedern spezielle Abteilungen für Schüler/Schülerinnen, Kunstturnerinnen, Mädchen- und Frauengymnastik, Hausfrauen, Mutter- und Kind-Turnen, Geräteturnen, Männerturnen, Er & Sie, Altersturner und ab 1966 dann die Abteilung Jedermann für Männer ohne Leistungssportanspruch, in der seither jährlich das Erlangen des Deutschen Sportabzeichens angeboten wird. 1980 wurde die „Rhytmische Sportgymnastik“ für Frauen gegründet. Letzte Neugründung war im Jahr 1985 eine bis heute bestehende Rhönradabteilung. Bis 2014 bestand noch die Geräte-Altersturnerabteilung, sie hat sich leider aus Altersgründen und mangelndem Nachwuchs aufgelöst.
Auch bisher kaum Bekanntes wurde aufgezeichnet: im Jahre 1930 wurde aufgrund ansehnlicher Geldspenden von zwei zuvor nach Amerika ausgewanderten, ehemals aktiven Mitgliedern, die “ Jean Daniels Stiftung “ gegründet, aus der mit dem Stiftungsgeld verletzte Aktive im Verein nach Sportunfällen bei der Genesung unterstützt wurden. Es könnte jedoch sein, dass das gesamte Vereinsvermögen 1936 nach der „Gleichschaltung“ abgegeben werden musste. Diese Stiftung wurde später nicht mehr erwähnt.
1933 wurde es zunehmend schwierig im geselligen und turnerischen Vereinsleben. So kam mit der sogenannten „Gleichschaltung“ der Zusammenschluss aller Deutschen Turnvereine zunächst in den „Reichsbund für Leibesübungen“, dann ab 1938 in den „Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen“.
Dies brachte von Beginn an große Einschnitte für den bisher in seiner Organisation freien Verein mit sich. Es wurden strenge Auflagen und Regeln dem Aachener Turngau 1864 und seinen angeschlossenen Vereinen für die Durchführung des Sportbetriebes und der Vereinsaktivitäten auferlegt, jüdische Mitglieder mussten den Verein verlassen, auch die Ausübung einiger Sportarten wurde ab 1936 „als nicht völkisch“ gänzlich verboten, dafür wurden „Wehrsportarten“ wie Laufen im Gelände mit Gepäck über einen Hindernisparcour hinzugenommen, „um die Allgemeine Wehrfähigkeit“ zu stärken.
Bis ins Jahr 1942 wird eine durch die Kriegszeit bedingt stark abnehmende „Vereinstätigkeit“ vermerkt und schließlich wurde aufgrund der immer stärker auf die Bürger einwirkenden Kriegslage zu Beginn des Jahres 1944 der Betrieb ganz eingestellt.
Der Verein hatte durch den Krieg wiederum viele Mitglieder verloren, aktive Turner und Turnwarte waren gefallen. Doch schon in 1947 ist wieder eine Aktivität und sogar der Besuch von Wettbewerben aufgezeichnet. Es wurde zudem der Vereinsname geändert in „Allgemeiner Turnverein Aachen 1870“ kurz „ATA„, einen Grund für die Umbenennung habe ich nicht finden können. Ein besonderes Glück war es noch, dass die alte Fahne von 1895, einige alte Pokale und wenige Aufzeichnungen des Vereins den Krieg überstanden hatten und bis heute noch im Besitz des „ATA“ sind.
In den darauffolgenden Jahren erfolgte die Wiederherstellung alter Vereinsstrukturen, was sich jedoch nicht in allen Bereichen der früheren Breitensportangebote realisieren ließ. Auch der Mangel an Turnhallen war in diesen Jahren ein Hindernis, um schnell wieder zu alter Größe zu finden. Man turnte deshalb oft auf dem ATV Vereinsgelände „Engeland“.
Da sich wieder ehrenamtliche Turnwarte und Übungsleiter für die Abteilungen fanden, konnten die Sportangebote nach und nach ausgeweitet werden. 1955 überarbeitete der Vorstand die Satzung, die dem Grunde nach bis heute gilt.
1970, zum 100-jährigen Bestehen, wurde erneut ein Festheft erstellt und eine große Feier mit nur noch etwa 300 Besuchern veranstaltet. Im Jahre 1978 trennte sich nach lang schwelenden Differenzen um Kompetenzen und zukünftige Ausrichtungen mit dem Gesamtvorstand die gesamte Abteilung der Kunstturnerinnen und gründeten einen neuen Verein.
Das 125. Jubelfest wurde in den Räumen des „Aachen-Fensters“ durchgeführt. Der Aachener Oberbürgermeister Jürgen Linden und der ATA Ehrenoberturnwart Kurt Ruhl hielten die Festreden.
Im Jahr 2016 werden im ATA folgende Sportarten angeboten:
Badminton für Jugend und Erwachsene, Gymnastik für Frauen, Turntanz, Rhönradturnen, Mutter- Kind Turnen, Geräteturnen, Rythmische Sportgymnastik, Turnen für Jedermann. Auch ist das in früheren Zeiten intensiv geführte gesellschaftliche Leben innerhalb des ATA inzwischen leider fast vollständig zum Stillstand gekommen, nur in wenigen Abteiungen werden Treffen auch außerhalb des Sportes durchgeführt. Angeboten werden durch den Verein heute noch mehrtägige Fahrten der Kinder- und Jugendbereiche bis hin zum Besuch des Deutschen Turnfestes.
Die Rolle der Frauen in wichtigen Positionen des Vereins hat sich heute deutlich erweitert, bis auf zwei Abteilungen sind alle anderen in der Abteilungs- und Übungsleitung von Frauen verantwortet und auch die Leitung des Gesamtvereins ist seit vielen Jahren in weiblichen Händen.
Trainingszeiten der Abteilungen sind auf der ATA-Homepage zu finden. Im Verein turnen im Jahr 2016 noch etwa 210 Mitglieder, darunter sind viele Kinder und Jugendliche. Zum Grundjahresbeitrag für Erwachsene werden noch Zusatzbeiträge für einige Abteilungen wegen eines höheren Aufwandes erhoben, im Beitrag enthalten ist für alle Mitglieder auch eine Haft- und Unfallversicherung über den Landessportbund Nordrhein-Westfalen.
Interessenten für einen Schnupperkurs oder für eine Aufnahme in den Verein wenden sich bitte an die jeweiligen Übungsleiter der Abteilungen oder an den ATA-Vorstand.
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Verfasser: Reiner Handels, Vorstandmitglied des ATA
Stand: 2016
Quellen:
- Vereinsaufzeichnungen: Allg.-T.V. Festhefte 50 und 60 Jahre,
- ATA Festhefte 100, 110 und 125 Jahre,
- Wikipedia: Sport im 3. Reich
- Deutscher Turnerbund: 200 Jahre Deutsche Turnerbewegung 2011